Geweiteter Horizont

#Auf­schrei. Das war vor ein paar Mona­ten – gut, es ist jetzt schon über ein Jahr her ‑ auf Twit­ter ein sehr beein­dru­cken­des Phä­no­men. Es hat auf ein­dring­li­che Wei­se illus­triert, wie sehr Frau­en von Män­nern beläs­tigt wer­den. Es hat erfahr­bar gemacht, dass es sich nicht um Ein­zel­fäl­le han­delt, son­dern eben ein kul­tu­rel­les Phä­no­men ist.

Ich selbst habe dadurch einen deut­lich ver­än­der­ten Blick – mir hat #Auf­schrei ermög­licht, die­se Kul­tur bes­ser zu ver­ste­hen. Es hat mir auf­ge­zeigt, dass mein eige­nes Emp­fin­den, ja doch sen­si­bel und auf­ge­klärt zu sein, nicht wirk­lich gerecht­fer­tigt war. Mei­ne Über­ra­schung ob dem, was ich da alles zu lesen bekam, war ein deut­li­ches Zei­chen, dass ich eben doch sehr viel von dem, was rund um mich pas­siert, nicht mit­be­kom­me oder in grö­ße­ren Zusam­men­hän­gen verstehe.

Nun, mit etwas Abstand, kön­nen wir uns viel­leicht die Fra­ge stel­len, wo wir noch genau sol­chen kul­tu­rel­len Phä­no­me­nen auf­sit­zen. Wo wir Mei­nun­gen haben, ohne genug der Fak­ten zu ken­nen oder mit den Betrof­fe­nen über­haupt gespro­chen zu haben.

In so vie­len Dis­kus­sio­nen habe ich in letz­ter Zeit den Ein­druck, dass die Posi­tio­nen so stark von der per­sön­li­chen Lebens­welt geprägt sind, ohne dass sich Dis­ku­tan­ten über­haupt vor­stel­len kön­nen, dass man auch einen ande­ren Blick haben kann. So kann ich mir gut vor­stel­len, dass Berufs­po­li­ti­ker ein ande­res Gefühl der Bedro­hung erle­ben und daher ihre Per­spek­ti­ve auf das Sicher­heits- und Poli­zei­we­sen eine deut­lich ande­re ist als das von Men­schen, die nicht so expo­niert leben. Oder die Fra­ge, was Men­schen dazu brin­gen kann, Dro­gen zu neh­men oder extre­mis­ti­sche Posi­tio­nen einzunehmen.

Was hel­fen kann? Zum einen gute Mög­lich­kei­ten, eben genau die Per­spek­ti­ve der ande­ren ein­zu­neh­men. Das kann guter Jour­na­lis­mus sein, der einem die­se Optio­nen gibt – aber auch gute Lite­ra­tur oder empha­tisch gezeich­ne­te Cha­rak­te­re in Fil­men. Was es aber auf jeden Fall braucht ist die Bereit­schaft, den ande­ren Men­schen zuzu­trau­en, ihre Ent­schei­dun­gen sinn­voll zu tref­fen und ihr Ver­hal­ten so aus­zu­rich­ten, wie es ihnen adäquat auf die Gege­ben­hei­ten ihres Lebens erscheint. Das heisst: ande­re Men­schen ernst zu neh­men, und mit einem freund­li­chen Blick und einem offe­nen Geist auf sie zuzu­ge­hen. Sich selbst zurück­zu­neh­men, und mit Fra­gen zu kom­men anstatt mit Ant­wor­ten. Aber genau das ist wohl der schwie­rigs­te Teil an der gan­zen Aufgabe.


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