Auf Twitter schrieb ich heute, dass ich politisch lieber für ein aufgeklärtes denn für ein christliches Europa einträte. Daraus entspann sich eine gewisse Diskussion, die zwar spannend, aber letztlich für das Medium dann doch zu komplex war – daher möchte ich hier gerne meine Gedanken etwas ausführlicher niederschreiben.
Wenn wir Europa nicht nur als Wirtschaftsunion, sondern auch als Kulturraum ernst nehmen wollen, stellt sich in meinen Augen die Frage, was wir da als unser Leitbild annehmen möchten: eine Grundmenge an Werten und ein Kanon an Qualitäten, die wir für erstrebenswert halten und in deren Richtung wir uns als Gesellschaften tatsächlich weiterentwickeln wollen. Nach meiner Auffassung sollte das auch  eine kulturelle Strömung sein, die Europa bereits wesentlich geprägt und sich am Kontinent auch so weit verbreitet hat, dass man sie als europäische Entwicklung erkennen kann (und nicht eine, die stärker regional geprägt ist). Hier scheint mir die Aufklärung der einzige ernstzunehmende Bewerber um den Titel.
Natürlich hat auch das Christentum Europa stark und nachhaltig geprägt; trotzdem ist es mir als Begriff im politischen Diskurs suspekt. Alleine schon durch unsere Geschichte und die Kriege, die im Namen des Christentums sowohl in Europa, als auch von Europa aus gegen andere Gebiete geführt wurden, passt für mich das Christentum nicht unmittelbar zu einer friedlichen europäischen Integration. Mindestens genauso wichtig ist aber, dass wir in Europa auch Regionen haben, die nicht überwiegend von Christen bewohnt werden. Alleine schon aus Respekt zu diesen – genau wie wir europäischen – Gebieten, dürfen wir sie nicht vereinnahmen und ihnen das Christentum überstreifen. Und auch für die Regionen, wo die Christen zwar eine Mehrheit stellen, andere Religionen zu sagen, dass hier zwar leben, aber nicht Teil der Identität des Kontinents sind, halte ich nicht für ein Vorgehen, das wir uns zu eigen machen sollten. Und wenn es jetzt um das kulturelle Erbe geht, und wie sehr unsere Gesellschaften christlich geprägt sind: ich sehe das im Alltag nicht. Das Kulturleben sicher, aber unsere Orientierung vor allem auf ein funktionierendes Wirtschaftssystem, unsere unglaubliche neoliberale Prägung im öffentlichen Diskurs überdeckt zumindest in meiner Wahrnehmung jegliche Grundprägung im Sinne von christlichen Werten.
Und: was haben wir denn dadurch zu gewinnen, wenn wir jetzt den Begriff des christlichen Europa der von manchen empfundenen islamischen Bedrohung entgegensetzen? Wo könnte es denn Sinn machen, sich auf eine solche Form der religiös geprägten Auseinandersetzung einzulassen? Nein: Aufklärung lässt beiden Religionen – und natürlich allen anderen auch – Spielraum; denn die Institutionen des Zusammenlebens sind nicht durch sie geprägt. Damit ist es müßig, diese Diskussion zu führen – sie hat sich einfach erübrigt.
Und so bleibe ich dabei: ich möchte lieber, dass wir für ein aufgeklärtes denn für ein christliches Europa eintreten.
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